Freitag, 27 Juni 2025 13:38

Stresserkennung per Stimme

Stresserkennung Stresserkennung foto: Pixabay

Prüfungsphasen bedeuten für viele Studierende eine Belastung, die weit über das Lernen hinausgeht. Schlafstörungen, Konzentrationsprobleme und innere Unruhe gehören inzwischen zum Alltag vieler Hochschüler. An der Universität Göttingen gibt es nun einen innovativen Ansatz, um Stress frühzeitig zu erkennen – über die Stimme. Eine neue App analysiert sprachliche Merkmale, um Rückschlüsse auf das psychische Befinden zu ziehen. Sie basiert auf moderner Sprachtechnologie und künstlicher Intelligenz.

Die Anwendung wurde in einem interdisziplinären Projekt entwickelt und ist aktuell in der Testphase. Ziel ist es, Studierenden eine niedrigschwellige Möglichkeit zur Selbstreflexion zu bieten – ganz ohne Diagnostik oder Stigmatisierung. Die Idee: Wer seinen Stress kennt, kann besser mit ihm umgehen.

Wie funktioniert die App?

Die Nutzung ist einfach und anonym. Studierende sprechen wenige Sätze in ihr Smartphone. Die App analysiert dabei Tempo, Pausen, Stimmlage und Lautstärkeverhalten. Ein Algorithmus berechnet daraus einen individuellen Stresswert. Die Auswertung erfolgt sofort und ist visuell aufbereitet. Persönliche Daten werden dabei nicht gespeichert.

Funktionen im Überblick

FunktionBeschreibung
Spracherkennung Analysiert Stimme ohne Aufzeichnung
Stress-Scoring Gibt numerischen Wert für aktuelle Belastung
Visualisierung Zeigt Entwicklung über Tage/Wochen
Datenschutz Keine Speicherung persönlicher Daten
Empfehlungssystem Bietet Hinweise zur Stressreduktion

Die App erkennt Muster, die häufig mit Prüfungsstress verbunden sind. Sie vergleicht die aktuelle Stimme mit vorherigen Aufnahmen und passt sich über Zeitverlauf an die individuelle Sprechweise an. So entstehen präzise, personalisierte Rückmeldungen.

Wer das Projekt leitet

Das Team setzt sich aus Expertinnen und Experten der Psychologie, Phonetik und Informatik zusammen. Projektleitung liegt beim Institut für Klinische Psychologie der Universität Göttingen. Unterstützt wird das Vorhaben durch ein Göttinger Start-up im Bereich Gesundheits-IT. Kooperationspartner aus Berlin und Hamburg stellen medizinische Beratung sowie technische Infrastruktur.

Die Entstehungsgeschichte reicht zurück in die Pandemiezeit. Dort zeigten sich neue Formen von Stress bei Studierenden, oft ohne greifbare Symptome. Die Idee, Sprache als Indikator zu nutzen, entstand aus der Notwendigkeit eines nicht-invasiven, schnellen Tools.

Erste Rückmeldungen von Studierenden

Im Sommersemester wurde die App erstmals in mehreren Studiengängen getestet – u.a. in Jura, Medizin und Biowissenschaften. Über 400 Studierende beteiligten sich freiwillig. Viele empfanden die Rückmeldung als wertvoll, weil sie emotional entlastend wirkte.

Einige Stimmen aus der Pilotphase:

  • „Ich fand es hilfreich, meinen Stresswert einfach mal zu sehen.“

  • „Es war überraschend, wie stark meine Stimme in stressigen Phasen abwich.“

  • „Eine einfache App, aber mit echtem Effekt – ich habe sogar mein Lernverhalten angepasst.“

Kritik gab es an der fehlenden Einordnung: Nicht jede*r wusste sofort, wie man mit dem Ergebnis umgehen soll. Das Entwicklerteam reagierte schnell mit einem Info-Bereich und konkreten Handlungsempfehlungen.

Woran erkennt man Stress in der Stimme?

Stimmen verraten mehr, als wir glauben. Bei Stress verändern sich Sprechweise und Stimmmuster deutlich – das ist wissenschaftlich belegt. Die App berücksichtigt genau diese Merkmale.

Typische Stress-Signale in der Stimme

  • Erhöhte Sprechgeschwindigkeit

  • Unregelmäßige Atempausen

  • Häufige „Ähs“ und Unterbrechungen

  • Höherer Tonfall als üblich

  • Zittern oder Schwanken in der Lautstärke

  • Häufige Wortwiederholungen

Das System bewertet nicht den Inhalt, sondern das akustische Verhalten. Dadurch ist die Nutzung sprachunabhängig und besonders diskret. Gerade für Studierende, die keine klassische Beratung wünschen, bietet sich hier ein sinnvoller Einstieg.

Gesundheit im Studium ernst nehmen

Immer mehr Hochschulen beschäftigen sich mit der psychischen Verfassung ihrer Studierenden. Studien zeigen: Über die Hälfte aller Studierenden fühlt sich regelmäßig überfordert. In Göttingen reagiert man darauf mit einem ganzheitlichen Ansatz. Neben psychologischer Beratung und Selbsthilfegruppen entstehen auch digitale Angebote, die flexibel nutzbar sind.

Die App wird von der Universität aktiv beworben – auch in Kooperation mit https://corpus-sacrum.de/, einer Plattform für psychische Gesundheit und studentische Lebensqualität. Unter https://corpus-sacrum.de/infos finden Studierende ergänzende Hinweise und Kontakte für konkrete Hilfestellung.

Blick in die Zukunft

Die Entwicklerinnen haben große Pläne. Künftig soll die App auch mit Lernplattformen wie eCampus oder Moodle verknüpft werden. So könnten Studierende direkt vor oder nach einer Prüfung ihren Stresswert einsehen. Eine mehrsprachige Version ist bereits in Arbeit. Auch ein Export in andere Bildungseinrichtungen ist denkbar.

Langfristig könnte das Modell auf Ausbildungsbetriebe oder Schulen übertragen werden. Gespräche mit Partnern aus dem öffentlichen Gesundheitswesen laufen bereits.

Digitale Hilfe, die zuhört

Die Stimme wird im Studium oft überhört – dabei steckt in ihr viel mehr als nur Information. Die neue Göttinger App nutzt genau das. Sie zeigt, dass Innovation nicht laut sein muss, sondern genau hinhört. Technik, die nicht bewertet, sondern begleitet. Ein kleiner Schritt für das Smartphone – aber ein großer für ein achtsameres Studium.